Ferropolis

Eberhard ist schon da - sein kleines rotes Auto ist das einzige auf dem Parkplatz. So, wie er da steht, hab ich ihn mir vorgestellt - nur größer. Er hat sich uns auch größer vorgestellt. Passt doch! Dann können wir 3 Kleinen ja losgehen. Eis, das wir hätten auftauen müssen liegt nur auf dem Boden. Zwischen uns nicht.

Mit ihm gemeinsam wollen wir diese ausgedienten, stählernen Ungetüme ansehen, die früher zu DDR-Zeiten die Erde aufgewühlt haben und nun auf der Halbinsel des Gremminer Sees aufgebaut sind. Den Grund des Sees, seine Ausmaße und Formen haben die Stahlriesen selbst geschaufelt. Eisblaues Wasser glättet nun die Krater des Tagebaus. Die Ufer sind gesäumt von Birken, braunen Gräsern und weiter hinten stehen unglaublich violett leuchtende Bäume. Der Schnee fasst alles zusammen - bedeckt, umgibt, blendet, vereinheitlicht, beruhigt... So stelle ich mir Sibirien vor.
Inmitten der gleißenden Helligkeit stehen sie - wie ein extraterrestrischer Paukenschlag. Sie sind so lächerlich riesig, so unwirklich bedrohlich und das einzige, was diesen Anblick erdet, ist der allgegenwärtige Rost und die kleinen altmodischen Hebelchen, die sich in den nun führerlosen Kabinen befinden.
Wir bestaunen die eisernen Monster, die damals unvorstellbare Krater in die Erde gefräst haben. So große "Schaufelbagger" habe ich noch nie gesehen! Wir schleichen um die Dinger herum, tasten uns vor, suchen einen fotografischen Zugang.
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Ich zitiere mal Wikipedia:
Ursprünglich befanden sich an dieser Stelle die Werkstätten, Energieversorgungseinrichtungenund Sozialanlagen des Tagebaues Golpa-Nord.
Bis 1955 verband eine Grubenbahnlinie Bergwitz mit dem Kraftwerk Zschornewitz. Teile des aufgegebenen Bahndammes wurden später als Erschließungsstraße für den Braunkohlentagebau Golpa-Nord und später für die Anbindung von Ferropolis genutzt. Die Grubenbahn und jetzigen Anschlussgleise für Ferropolis wurden parallel zu dieser ehemaligen Bahnlinie errichtet.
Nach dem Ende des Braunkohlebergbaus in diesem Gebiet wurden hier fünf Großgeräte in einem Freilichtmuseum zusammengeführt. Am 14. Dezember 1995 wurde „Ferropolis – Die Stadt aus Eisen“ gegründet, durch den damaligen Wirtschaftsminister von Sachsen-Anhalt Klaus Schucht. Neben einem Eimerkettenschwenkbagger (Spitzname „Mad Max“) und einem Schaufelradbagger („Big Wheel“) findet man hier auch zwei Absetzer („Gemini“ und „Medusa“) und einen Raupensäulenschwenkbagger („Mosquito“). Überregional bekannt wurde die "Stadt aus Eisen" im Jahr 2000 durch ein Galakonzert zur Eröffnung des Kulturprojekts "Ferropolis", welches der griechische Komponist Mikis Theodorakis dirigierte. 2004 fanden umfangreiche Sanierungsmaßnahmen an den Großgeräten statt.
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Die ganze Szenerie wirkt ästhetisch-grotesk und unglaublich fremdartig. Ich habe das Gefühl, dass Kevin Costner jeden Augenblick aus dem See auftaucht - direkt aus dem Film "Waterworld" ist er in das Eiswasser gesprungen. Er wird sich auf eines der Ungetüme schwingen und es mühelos in Bewegung setzen. Mit so einem Monster unter dem Hintern kann man nur gewinnen. Gewinnen gegen die Schurken - die Erde und die Natur werden verlieren, aber Herrn Costner kann man nicht böse sein. Seine Filme haben andere Themen...

Nach einer Weile wird uns kalt und wir flüchten in die Orangerie. Ein kleines Restaurant mit ambitionierter Speisekarte, die hält, was sie verspricht. Eberhard wählt "Schnüüsch", ein Gericht aus Norddeutschland mit Bohnen, Speck, Kartoffeln und anderen Gemüsen in Milch gekocht. Leo isst Farfalle mit Zucchini und Krabben in einer Sauce, die nach irgendeinem Gewürz schmeckt, das wir aber nicht identifizieren können. Lecker ist das! Ich mümmele Salat aus frischer und gekochter Rote Bete mit Nüssen und Orangen. Eberhard wundert sich, dass ich davon satt werde.
So durchgewärmt folgt die zweite Runde. Ich kämpfe mit den Widrigkeiten; wenn ich die Kamera vor die Augen halte, muss ich die Sonnenbrille hochschieben. Beim Hochschieben rutscht die Kapuze runter. Foto fertig, Sonnenbrille wieder auf, denn der Schnee blitzt durch die Sonne noch greller in die Augen. Kapuze wieder hoch, denn der Wind fegt mir um die Ohren.
Ich komme mir leicht blöd vor zwischen den beiden Männern, die diese Probleme nicht zu haben scheinen. Sie scheinen meine auch nicht zu bemerken, also beschließe ich, es nicht dramatisch zu finden.
Nach einer weiteren Stunde, in der viel gelächelt, sich gegenseitig geknipst und geplaudert wird, mit sichtbarem Atem in der kalten Luft, zieht es uns wieder in die Orangerie. Nach dem Mittagessen kann der Kuchen auch nicht anders als gut sein. Wir werden nicht enttäuscht.
Auf dem Parkplatz verabschieden wir uns und sind alle drei froh, dass wir uns getroffen haben.

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