Meine Mama braucht kein Anti Äidsching mehr

Ihre Mama sitzt im Zimmer und schmollt. So begrüßt mich eine der Pflegerinnen. Man hatte ihr verboten rauszugehen, nachdem sie gestern mal wieder verlorengegangen war.
Nun haben wir den Salat. Meine Mama weint ihrer Würde hinterher und ich versuche, sie aufzumuntern. Wie immer nehme ich sie in den Arm, sage, dass wir nun zusammen rausgehen würden, wie immer suche ich nach ihrem Portemonnaie, finde es natürlich und will dann los, raus in den Sommer mit ihr. Sie befindet ihre Bekleidung als unpassend. Helle Schuhe zur dunklen Hose würde gar nicht gehen. Aber sie hat ja keine weiße Hose. Das sagt sie im gleichen Tonfall, mit dem sie verschwundene Taschen, Handys, Portemonnaies beklagt. Ich zerre eine weiße Hose aus dem Schrank, schlage noch ein schickes Halstuch vor und sie zieht sich endlos langsam aber getröstet um.
Den Rollstuhl lehnt sie entrüstet ab. Ich seufze, denn mit dem Gehwagen wird alles dreimal so lange dauern. 120 Schritte bis zu Rossmann für mich, 240 Schritte für sie. Da sie nicht schneller kann, muss ich langsamer sein und das fällt mir schwer. Wir rollen in den kühlen Laden, ich packe Colgate ein. Immer schön die altbekannten Marken nehmen. Sie muss die Tube auch später noch als Zahnpasta identifizieren können. Wir passieren ein Riesenregal mit Haarspray. Das weckt Begehrlichkeiten in ihr und sie steht minutenlang davor, liest die Aufschriften, kann sich nicht entscheiden und greift dann zu Dreiwettertaft. Auch so ein Ding von früher. Damit kann sie unbesorgt nach London, New York und Rom. Weiter zur Gesichtscreme. Da kommt nur Nivea in Frage. Ach Gott, was nehme ich denn da?
Wieder liest sie die Aufschriften. Anti Äidsching? Das brauche ich nicht mehr. Meine Falten gehen nicht mehr weg. Entweder aus Eitelkeit oder aus alter Gewohnheit packt sie noch getönte Tagescreme ein.
Sie zahlt, packt ein und verursacht einen Stau an der Kasse. Die Menschen hinter uns sind geduldiger als ich. Ich will einen Kaffee. Wieder draußen in der Sonne, entscheide ich, dass wir ins Café Provence gehen. Das ist nur wenige Schritte vom Seniorenheim entfernt. Die Wirtin stellt uns einen jungen Franzosen vor, der ein paar Wochen bei ihr arbeitet. Watn sööten Jung! wird Mama später sagen.
Sie lauscht dem Gespräch der Beiden am Nebentisch und genießt die Sonne. Morgen habe ich einen Sonnenbrand auf der Nase. DieWirtin hält für Gäste immer Strohhüte parat und ich bringe ihr einen davon. Er rutscht ihr fast ganz über den Kopf, aber die Nase hat nun Schatten.
Sie erzählt von ihren Träumen. Sie träumt wirres Zeugs und weiß nie, ob es nun Realität oder nur Traum war. Das Spiel geht so: Sie berichtet von etwas Unglaublichem und ich muss ihr sagen, ob es Traum oder Wirklichkeit war. Es war immer ein Traum und immer streitet sie es ab.
Martina spendiert uns einen neuen Kuchen, den sie ab heute den Gästen anbieten will. Johannisbeerbaiser mit Lavendelsahne. Der sööte Franzose serviert ihn uns mit einem charmanten "Voilà et bonne appetit" und Mama strahlt ihn an. Vielleicht sollte sie mal lieber von ihm träumen, statt von den ewigen Diebstahlgeschichten.....
Wieder zurück im Heim hat uns die Realität wieder. Eine Bewohnerin empfängt uns mit der Frage "Wo ist denn hier die Obrigkeit?" "Ich kann grad keinen sehen." antwortet Mama kopfschüttelnd.
"Was gibt es hier nur für tüdelige Leute." Die Dame greint "Nicht mal an der Rezeption ist jemand..."
Ich bringe Mama in ihr Zimmer, packe die Einkäufe aus freue mich über ihr Strahlen. "Danke für den schönen Nachmittag. Wenn du kommst, ist alles gut." Bevor ich heule, zische ich schnell raus in die Sonne.