Meine Mama wechselt die Farben

Als ich komme, sitzt sie gerade bei der Fußpflege und strahlt mich an. "Jetzt bin ich wieder gut für fünf Kilometer!" Ich muss auch erst lachen, aber dann habe ich ein Bild vor Augen, auf dem sie mit ihrem Gehwagen kilometerweit durch die Stadt irrt.
Ich radiere das Bild weg und gehe mit ihr in den Innenhof. Niemand sitzt hier. Alle Bewohner ziehen es vor, sich drinnen schweigend gegenüber zu hocken.
Ich packe ein kleines Puzzlespiel aus. Lauter bunte Kugeln müssen zu einem Dreieck gelegt werden. Es gibt viele Farbvorlagen mit unterschiedlichen Ausgangssituationen, die man dann ergänzen muss. Leider fand ich die total unbrauchbar, denn man bräuchte mindestens eine Lupe, um alles erkennen zu können. Also habe ich die Form mit den Aushöhlungen fotokopiert und mit Buntstiften die kleinen Kreise entsprechend der Vorlagen ausgemalt. Mama ist gespannt und lässt sich das Spiel erklären.
Zunächst wendet sie die Puzzleteile bedächtig und zögernd in der Hand, aber bald geht es recht schnell und Gelb setzt sich neben Grün, wird wieder herausgenommen und doch lieber dem Orange zur Seite gelegt. Sie versucht, ein bestimmtes Farbschema zu erkennen, befindet, dass das Rosa dem Braun besser steht als dem Blau, sieht dann aber ein, dass es hier um Formen und nicht um Farben geht. "Das macht Spaß!"
Nach ein paar Runden gehe ich schnell in den Drogeriemarkt, um ihr ein paar nötige Kleinigkeiten zu kaufen. Die "Frau im Spiegel" ist dabei. Damit bin ich aufgewachsen, denn die hat Oma immer gelesen und Oma wohnte bei uns. Dieses Klatschblatt wird also auch Mama vertraut sein und Königin Elisabeth auf dem Titel sieht so herrlich alt aus, dass Mama sich nicht alleine fühlen muss.

Als ich wiederkomme, fragt sie, ob wir nun nach Hause gehen. Diese Frage fürchte ich jedes Mal. Jetzt ist sie da und mir krampft sich alles zusammen. Aber du wohnst doch hier.... wie hilflos, wie wenig tröstlich, wie endgültig. Ganz plötzlich ist ihre gute Stimmung dahin. Eben hatte sie noch gestrahlt, gegrübelt, gespielt, jetzt sitzt sie da und weint.
Mama kann ihre Farben auch wechseln.